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Die Ausstellung folgt Ideen des Philosophen Vilém Flusser. Seine Vision ist das „Entwerfen“ eines „aufrichtigen Lebens“ in „wahrhaftem Dialog“ mit der Hilfe von Computern. Sein Essay Vom Subjekt zum Projekt entstand 1989 – dem Geburtsjahr des World Wide Web.

Mit dem Internet kamen bald die Verheißungen und Gefahren der Macht der Daten. Die Bücher hier zeugen von heutigen Hoffnungen auf eine schöne neue Welt bis hin zu Unsterblichkeit und von Ängsten vor Unterjochung und Untergang.

Du kannst wählen zwischen der Freiheit für Entscheidungen oder dem Gebot der Optimierung der Automatisierung.

Die Stadt Graz hat sich 2018 für diese Prinzipien im Umgang mit Daten entschieden:

Schade nicht anderen.
Verwende Daten, um dabei zu helfen, ein friedvolles Miteinander zu schaffen.
Verwende Daten, um gefährdeten Menschen und solchen in Not zu helfen.
Nutze Daten, um die natürliche Umgebung zu schützen und zu verbessern.
Nutze Daten, um die Voraussetzung für eine Welt ohne Diskriminierung zu schaffen.

Aus: Richtlinie des Grazer Gemeinderates vom 17.05.2018 „Digitale Agenda Graz“.

Was ist deine Utopie?

Vilém Flusser

Geboren 1920 in einer jüdischen Intellektuellenfamilie in Prag.
Im Rückblick beschreibt Flusser seine Jugend als „Erlebnis in der geistig und künstlerisch berauschenden Atmosphäre Prags, zwischen den zwei Kriegen“.
1938 Studium der Philosophie in Prag (zwei Semester).
1939 nach der Besetzung Prags durch deutsche Truppen Flucht nach London mit zwei Büchern im Gepäck: einem hebräischen Gebetsbuch und Goethes Faust.

1940 Flucht von Großbritannien nach Brasilien, wo er von der Ermordung seines Vaters in Buchenwald erfährt. Seine Mutter und seine Schwester werden 1943 in Auschwitz, seine Großeltern in Treblinka ermordet.
Nach Publikation zahlreicher Aufsätze erst 1963 erste Buchveröffentlichung Lingua e Realidade.
1964, im Jahr des brasilianischen Militärputsches, ist Flusser Dozent für Kommunikationstheorie in Sao Paulo.
1965 erscheint A História do Diablo (Die Geschichte des Teufels).
1968 Vortrag Flussers an der Karls-Universität Prag scheitert am Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes.
1972 Reise im Auftrag der Biennale Sao Paolo zum Anlass, mit seiner Familie ganz nach Europa zu ziehen. Sie lassen sich zunächst in Meran nieder.
1973 Flussers Aufsatz „Line and Surface“ zum technischen Bild auf löst große Resonanz in der US-amerikanischen Kunstszene aus, wodurch Flusser 1974 zur legendären Konferenz „Open Circuits. The Future of Television” am Museum of Modern Art New York eingeladen wird.
In den folgenden Jahren intensive Vortragstätigkeit zur Kommunikationstheorie v. a. in Frankreich, wo er mit seiner Frau hauptsächlich wohnt.
1983 erste deutschsprachige Publikation: Für eine Philosophie der Fotografie, die in 20 Sprachen übersetzt werden sollte.
Ab 1984 Vortragsreisen in die ganze Welt.
1986 Besuch in Prag – zum ersten Mal nach Flussers Flucht
1987 erscheint Die Schrift. Hat Schreiben Zukunft? als Buch und als Diskettenausgabe.
1988 Teilnahme am Linzer Ars Electronica-Symposion „Philosophien der neuen Technologie“ gemeinsam mit Jean Baudrillard und Peter Weibel

1988 und 1989 Arbeit an dem Buchprojekt Vom Subjekt zum Projekt, das Basis der Ausstellung „Die Welt als Datenfeld“ ist.
Flussers Vision ist ein „theoretisches Leben“ für Alle: Die Auflösung der Welt in digitale Punkte befreit von der Unterordnung des Subjektes unter das Objekt. Politik und Arbeit werden an Technik übergeben. Durch universelle Vernetzung wird ein „aufrechtes“ Leben möglich. Gemeinsam entwerfen wir spielerisch Modelle aus dem „Partikelstaub“ der Datenwolken, „die wir selbst kalkuliert haben“, die wir uns als Welt „projizieren“. Aus der „Geworfenheit“ ins Sein wird ein „Entwerfen“, aus dem „unfreien, unterwürfigen Leben“ ein kontemplatives: „Das ist Kontemplation im echten Sinn des Wortes: Entwerfen von Schicksal“. Dieses „konsiderieren“ von Schicksal geschieht vernetzt, das Subjekt geht auf in einem intersubjektiven WIR, das selbst die Verantwortung übernimmt. Es ist “nicht länger Werten unterworfen, sondern sie komponierend. Wir beginnen frei zu werden.“
Beim steirischen herbst 1990 hält Flusser den Eröffnungsvortrag zum Generalthema „Zelte“.
1991 Vortrag bei den Wiener Vorlesungen „Ende der Geschichte. Ende der Stadt?“ und erster Vortrag in seiner Geburtsstadt Prag: „Paradigmenwechsel“.

Flussers Grunddisposition der Bodenlosigkeit, die mit dem Verlust seiner Heimatstadt und seiner Familie durch das NS-Regime ihren Anfang genommen hat, besteht auch nach seiner mehrmaligen Rückkehr nach Prag fort.
Auf der Rückreise von Prag verunglücken Vilém und Edith Flusser am 27. November 1991 mit dem Auto. Vilém stirbt und wird auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Prag beigesetzt. Seine Frau, die den Unfall überlebt hat, findet 2014 im gleichen Grab ihre letzte Ruhe.

Ganz in Flussers Sinne schreibt die Ausstellung „Die Stadt als Datenfeld“ Flussers letztlich Fragment gebliebenen Text über die Genealogie und Zukunft des Subjektes weiter, hat er doch gegenüber seinem Lektor gemeint: „daß die Manuskripte […] gar nicht ans Drucken denken, sondern unterwürfige Entwürfe sein wollen, die wir gemeinsam (und vielleicht auch unter Zunahme von eingebildeten Leuten) erst geformt werden sollen.“ 30 Jahre später dient Flussers seinerzeitige RE-Gnosis der Strukturierung einer vergleichenden Bestandaufnahme, die den „eingebildeten Leuten“ – dem Ausstellungspublikum – die eigene DIA-gnosis ihres jeweiligen „heute“ durch diese historische Kontextualisierung mit einer „vergangenen Zukunft“ erleichtert.